„Wir haben es satt!“: Darum ist der Pestizid-Ausstieg so wichtig

19. Januar 2022

Massenweise Pflanzenschutzmittel landen noch immer auf den Äckern, die Biodiversität in der Agrarlandschaft nimmt weiter ab. Das Bündnis „Wir haben es satt!“ ruft wieder zum Protest auf – pandemiebedingt ohne Demo. Eine wichtige Forderung in diesem Jahr: Pestizid-Ausstieg. Doch wie kann er gelingen?

Im Januar steht eigentlich immer die große Demo unter dem Motto „Wir haben es satt!“ an. Das Bündnis aus zahlreichen Umwelt-, Natur- und Tierschutzorganisationen musste das große Treffen vor Ort pandemiebedingt allerdings nochmals ins Internet verschieben. So findet am 22. Januar 2022 keine Demo in Berlin statt, sondern ein bildstarker „Wir haben es satt!-Video-Protest“ am Bundestag. Außerdem haben die Initiatoren zu der Aktion „Staffel-Lauch für die Agrarwende“ aufgerufen. Dafür reichen derzeit Menschen in ganz Deutschland in Videos eine Lauchstange weiter und fordern dabei den Neustart in der Agrar- und Ernährungspolitik. Am 22. Januar wird der Staffel-Lauch an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir übergeben.

Das Bündnis informiert begleitend ausgiebig über das, was derzeit agrarpolitisch ansteht und warum die Agrarwende mehr denn je dringend wird. Ein wichtiges Thema und zugleich eine Forderung der 60 Bündnispartner ist dabei der Pestizid-Ausstieg. Wir haben mit Katrin Wenz vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) darüber gesprochen, wie der Pestizid-Ausstieg gelingen kann und was derzeit auf den Äckern los ist in Sachen Pflanzenschutzmitteln.

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DBJ Ausgabe 10/2024

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Warum ist ein Pestizid-Ausstieg so wichtig?

DBJ: In den vergangenen Jahren war das Thema der hohen Pestizidbelastung in der Öffentlichkeit stark präsent – zumindest vor der Pandemie. Eine wirkliche Trendumkehr gibt es aber immer noch nicht. Wie ist die aktuelle Lage?

Wenz: Zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe insgesamt werden in Deutschland pro Jahr verkauft. Die Menge schwankt aufgrund von Witterungsbedingungen und unterschiedlichen Preisen für Agrar- und Pestizidprodukte. Ausschlaggebend ist aber nicht nur die Menge: Denn es lässt sich seit langem schon ein Trend hinsichtlich der Giftigkeit der Spritzmittel zu Mitteln beobachten, die schon in geringer Dosierung sehr wirksam sind. Insbesondere Insektizide werden zwar inzwischen in deutlich geringerer Menge eingesetzt, sind aber für etliche Tiere wesentlich giftiger geworden. Dadurch nimmt die Biodiversität in der Agrarlandschaft weiter ab.

Wie kann ein Pestizid-Ausstieg gelingen?

DBJ: In der Diskussion um die Gefahren von Pflanzenschutzmitteln sind oft auch Bienen und andere Insekten im Fokus und es wurden Wirkstoffe wie die Neonicotinoide verboten bzw. deren Einsatz eingeschränkt. Viele Landwirte ändern aber dennoch nichts an ihren Praktiken, sondern weichen einfach auf Ersatzstoffe aus, die ebenfalls Gefahren bringen. Wie kann ein „wirklicher“ Pestizid-Ausstieg gelingen?

Wenz: Die Einführung einer Pestizidabgabe kann ein geeignetes Instrument sein. Eine solche an den Risiken der Pestizide ausgerichtete Abgabe trägt dazu bei, besonders toxische Pestizide zu verteuern und Betriebe stärker zu motivieren auf weniger schädliche Wirkstoffe umzusteigen. Aber auch Regelungen, die den Einsatz besonders schädlicher Pestizide wie zum Beispiel Stoffe aus der Gruppe der bienenschädlichen Neonicotinoide oder besonders umwelt- oder gesundheitsgefährliche Herbizide wie Glyphosat verbieten, gehören zu einer wirksamen Strategie. Dabei dürfen aber Notfallzulassungen keine weiteren Genehmigungen bekommen.

Protest gegen die Agrarindustrie: Wir haben es satt!
Statt Demo gibt es 2022 wieder einen Online-Protest gegen die Agrarindustrie. Bild: Wir haben es satt!

Außerdem brauchen wir ein transparentes Ausbringungsregister für die Anwendung von Pestiziden. Momentan müssen landwirtschaftliche Betriebe nach der Pflanzenschutzanwendungsverordnung die Ausbringung der Pestizide zwar dokumentieren, jedoch nicht veröffentlichen. Nur im Schadensfall müssen die Informationen an die zuständigen Behörden gegeben werden.

Ein weiterer Hebel ist auch die Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP). Ab 2023 gibt es in Deutschland das erste Mal zusätzliche GAP-Zahlungen für Betriebe, die auf Pestizide auf konventionellen Äckern verzichten. Ein weiterer Ansatz ist die Förderung des Ökolandbaus, der wegen steigenden Verbraucherinteresses seit Jahren immer höhere Umsätze erzielt.

Pestizide im Schutzgebiet?

DBJ: In verschiedenen aktuellen Beschlüssen geht es meist darum, dass Pflanzenschutzmittel nicht mehr in Naturschutzgebieten und anderen geschützten Flächen ausgebracht werden dürfen?

Wenz: Das ist zu wenig. Wir fordern das Verbot von Pestiziden in Schutzgebieten. In Naturschutzgebieten sollte ein Einsatz von Pestiziden grundsätzlich untersagt sein. In Nationalparks und Biosphärenreservaten sollten für die Kernzonen Komplettverbote normiert und die Pflegezonen wie Naturschutzgebiete gehandhabt werden.

Mehr zu den Forderungen des Bündnisses „Wir haben es satt!“ und zu den aktuellen Aktionen im Einsatz für eine neue Agrar- und Umweltpolitik gibt es hier zum Nachlesen und Mitmachen.>>>

jtw

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