Bienen halten ohne Varroabehandlung

28. Februar 2020

Der US-amerikanische Bienenwissenschaftler Professor Thomas D. Seeley erforscht seit über 40 Jahren das Verhalten von Honigbienenvölkern. Im November 2018 kam er für eine Vortragsreihe nach Deutschland. Wir nutzten die Gelegenheit für ein Interview und fragen unter anderem: Bienen halten ohne Varroabehandlung, wie geht das?

DBJ: Professor Seeley, in Ihren Vorträgen beschreiben Sie, wie die Bienenhaltung ohne Varroabehandlung funktioniert : indem man sie in kleinen Beuten hält, die weit auseinanderstehen, und sie frei schwärmen lässt. Für Imker mit mehr als zehn Völkern oder für Berufsimker dürfte dies keine Option sein. Wie realistisch ist es da, auf diese Weise varroa– resistente Bienenvölker zu erhalten?

Thomas D. Seeley: Um zu sehen, ob ein Konzept im Großen gelingt, muss man es zunächst im Kleinen überprüfen und Beweise dafür sammeln, dass es funktionieren kann. Ich erwarte nicht, dass Berufsimker von heute auf morgen ihre Arbeitsweise umstellen – das würde für sie hohe ökonomische Verluste bedeuten. Aber ich glaube, dass diese Methoden für Freizeitimker mit wenigen Völkern durchaus funktionieren. Wenn wir Honigbienenvölker der natürlichen Selektion aussetzen und nur noch mit den Königinnen der Völker nachzüchten, die ohne Behandlung viele Jahre überdauern, werden wir allmählich Bienen erhalten, die mit der Milbe zurechtkommen. Ich hoffe daher, dass diese Techniken irgendwann als eine alternative Art des Imkerns akzeptiert werden.

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DBJ Ausgabe 5/2024

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DBJ: Viele Imker und Bienenwissenschaftler sehen eine Gefahr in wilden Kolonien, die kaum imkerlich betreut werden, da sie Krankheiten übertragen oder sich ihre Schwärme in Gebäuden einnisten könnten.

Seeley: Ja, diese Argumentation ist mir bekannt. Ich denke aber, dass es bei den betreuten Völkern genauso viele Probleme gibt. Die wesentlichen Eingriffe beim Imkern sind Manipulationen, um die Völker vom Schwärmen abzuhalten und möglichst groß werden zu lassen, damit mehr Honig produziert wird, als die Bienen je brauchen würden. In vielerlei Hinsicht wissen wir heute, dass diese unnatürlich großen Völker nicht nur viel Ertrag bringen, sie bieten auch eine gute Grundlage für die schnelle Entwicklung von Krankheitserregern und Parasiten. So haben beide Ansätze ihre Vor- und Nachteile.

Bienenhaltung ohne Varroabehandlung

DBJ: Ist die naturnahe Bienenhaltung oder der Trend, dass viele Menschen Bienenvölker zum Zwecke des Naturschutzes halten und keinen Honig ernten wollen, in Ihren Augen also etwas Positives?

Seeley: Ich sehe darin zumindest viele positive Aspekte. Ich vergleiche das gerne mit Vogelbeobachtern. Manche Leute halten sich Vögel für die Eier- oder Fleischproduktion. Andere sind glücklich, wenn sie sie in der Natur beobachten können. So ist es auch bei manchen Bienenhaltern: Sie wollen einfach draußen neben der Beute sitzen und die Bienen beobachten – und ich kann das gut nachempfinden. Aber wir Menschen haben die Westliche Honigbiene mit einem ihr fremden Parasiten in Kontakt gebracht: der Varroa. Daher denke ich, dass wir sehr viel mehr Verantwortung haben als ein Vogelbeobachter. Jeder, der Honigbienenvölker in Beuten hält, sollte sich auch über Bienenkrankheiten informieren und wissen, welche Möglichkeiten es gibt, die Völker gegen Varroa zu behandeln, oder wie man Bienen halten muss, damit sie allein mit der Milbe zurechtkommen.

„Meine Völker leben in einräumigen Zehner-Langstrothmagazinen und stehen jeweils mindestens zwei Kilometer voneinander entfernt. Ich überlasse sie größtenteils sich selbst.“

Professor Thomas D. Seeley

DBJ: Sie erwähnten, dass Sie auch Imker sind. Haben Sie eigene Völker?

Seeley: Ja, neben den 16 Bienenvölkern, die ich an der Cornell Universität betreue, habe ich auch um die 20 eigene Völker südlich von Ithaca, einer kleinen Stadt im US-Bundesstaat New York. Ich halte sie allerdings nicht zur Honigproduktion, sondern als das, was ich „simulierte wilde Bienenvölker“ nenne. Sie stammen alle aus Schwärmen, die ich in der Umgebung von Ithaca gefangen habe. Meine Völker leben in einräumigen Zehner-Langstrothmagazinen und stehen jeweils mindestens zwei Kilometer voneinander entfernt. Ich überlasse sie größtenteils sich selbst. Die Völker bekommen keine Behandlung gegen Varroa und dürfen frei schwärmen. An ihnen kann ich beobachten, wie Bienen in der Natur auf sich selbst gestellt überleben.

Naturnah gehaltene Völker blieben stabil

DBJ: Und konnten Sie schon Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen ziehen?

Seeley: Ja, die Völker haben mir gezeigt, dass der Bestand von wilden Kolonien über die Jahre relativ stabil bleibt. Sagen wir, ich starte mit 20 Völkern im Mai. Davon werden etwa 20 Prozent über den Winter sterben, sodass es im Jahr darauf im Mai nur noch 16 Völker sind. Doch im Sommer zuvor ist jedes der 20 Völker im Durchschnitt einmal geschwärmt. Von diesen 20 Schwärmen überleben etwa vier in der Natur, aus denen sich bis Mai des darauffolgenden Jahres volle Völker entwickeln. Im Prinzip gleichen sich also die Abgänge und Neuzugänge der Völker einer Population perfekt aus.

DBJ: Hat Ihre Arbeit als Bienenwissenschaftler die Art, wie Sie imkern, verändert?

Seeley: Ich würde sagen, sie hat meinen Zugang zur Imkerei verändert. Ich habe über die Zeit einen tiefen Respekt gegenüber der Fähigkeit der Bienenvölker entwickelt, auch gut alleine zurechtzukommen. Wie viele Imker dachte ich am Anfang, dass ich mich um meine Völker kümmern muss, indem ich sie behandle, füttere, führe und so weiter. Aber als ich erforscht habe, wie Bienenvölker in der Natur ohne menschliche Eingriffe überleben, habe ich gelernt, dass sie gut für sich selbst sorgen können. Für mich sind Bienen in vielerlei Hinsicht die besten Imker. Sie kommen prima allein zurecht – abgesehen von Varroa. Aber auch hier lernen wir, dass es genug genetische Variation unter den Honigbienenvölkern gibt, die es ihnen erlaubt, über die Generationen hinweg Strategien zu entwickeln, um mit dem Parasiten zurechtzukommen. Diese Mechanismen zu verstehen ist ein Schwerpunkt meiner aktuellen Forschungsarbeiten.

Erster Kontakt zu Bienen mit neun Jahren

DBJ: Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt zu Honigbienen?

Seeley: Das war, als ein Schwarm in den Walnussbaum in der Nähe unseres Hauses zog – damals war ich neun Jahre alt. Ich wuchs in der ländlichen Umgebung von Ithaca auf. Wir lebten an einer kleinen Landstraße, die ich als Kind oft entlangspazierte. Eines Tages hörte ich das Summen Tausender Bienen in der Luft. Beim Anblick der Schwarmwolke bekam ich ganz schön Angst – sie war riesig, und die Bienen machten eine Menge Lärm. Doch dann fiel mir auf, dass sie alle ein kleines Loch im Baumstamm ansteuerten und darin verschwanden. Das faszinierte mich, und ich beobachtete sie eine Weile weiter. Dabei merkte ich, dass sie keinerlei Interesse an mir hatten. In den nächsten Wochen stellte ich immer wieder eine Leiter an dem Baum auf, um ganz nah ans Flugloch zu kommen und den Bienen beim Ein- und Ausflug zuzusehen. Ich glaube, dieser Moment löste in mir die Faszination für diese kleinen Tiere aus. Noch lange danach habe ich mich gefragt, warum die Bienen gerade diesen Baum als ihr neues Zuhause ausgewählt hatten. Ich ahnte ja nicht, dass ich diese Frage Jahre später mit den Forschungsergebnissen meiner Doktorarbeit beantworten würde.

DBJ: In Ihrer Doktorarbeit ging es darum, wie Bienen einen neuen Nistplatz finden. Welchen Einfluss hatten dabei die Arbeiten von Martin Lindauer?

Bienen halten ohne Varroabehandlung: Thomas D. Seeley und Martin Lindauer
Thomas D. Seeley und Martin Lindauer bei einem Treffen im Jahr 2005 im Garten von Lindauers Wohnhaus nahe München. Foto: Thomas D. Seeley

Seeley: Martin Lindauer war der ehemalige Betreuer von Bert Hölldobler, dem Betreuer meiner Doktorarbeit. Man könnte sagen, dass es eine Art akademische „Familienverbindung“ zwischen Lindauer, Hölldobler und mir gibt. Als ich Lindauers 62-seitige Arbeit „Schwarmbienen auf Wohnungssuche“ las, die er 1955 veröffentlicht hatte, bekam ich große Hochachtung vor den genauen Beschreibungen seiner Beobachtungen. Zudem war es sehr beeindruckend zu lesen, wie Lindauer mit der wenigen Zeit und den knappen Ressourcen, die ihm zur Verfügung standen, eine so exzellente Studie über den Nistplatz-Findungsprozess von Honigbienen durchgeführt hat.

DBJ: Später haben Sie Lindauer auch persönlich kennengelernt. Wie haben Sie ihn erlebt?

Seeley: Lindauer war ein sehr bescheidener Mensch. Er betonte damals, dass er kein Wissenschaftler sei, der sich mit der Entwicklung großer Ideen beschäftige. Seine Stärke lag darin, die kleinen Dinge zu bemerken. Wenn er ein Phänomen beobachtete, das ihn verblüffte, versuchte er, es näher zu erforschen, um es zu verstehen. So fiel ihm bei seinen Forschungen auf, dass einige der Bienen, die auf der Schwarmtraube tanzten, mit Ruß bedeckt waren, andere mit braunem Staub. Er vermutete, dass die schwarzen Bienen einen Schornstein als mögliche neue Behausung ausfindig gemacht hatten, während die braunbestäubten einen Hohlraum im Mauerwerk mit ihrem Tanz bewarben. Um seine Vermutung zu überprüfen, verfolgte er den abhebenden Schwarm. Anfang der 1950er-Jahre war das noch leicht möglich, denn durch den Krieg waren viele der Gebäude zerstört worden. So stellte er fest, dass die Bienen tatsächlich einen Schornstein anflogen.

„Meine Hoffnung für die Zukunft ist daher, dass Bienenwissenschaftler weiterhin in der Lage sein werden, Bienenvölker aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.“

Professor Thomas D. Seeley

DBJ: Wie würden Sie die Trends in der heutigen Bienenwissenschaft bewerten? Auf welchen Bereichen sollte in Zukunft der Fokus in der Forschung liegen?

Seeley: Nun, ich glaube, Forschung funktioniert dann am besten, wenn niemand vorschreibt, in welche Richtung sie gehen soll. Wissenschaftler sollten die Dinge erforschen, die sie interessieren. Ich kann also nur sagen, welche Gebiete ich selbst gerne weiter untersuchen würde, und das ist die Physiologie eines Volkes: Zum Beispiel wie der Gasaustausch im Volk funktioniert, wie das Sammeln von Vorräten oder der Nestbau koordiniert werden oder wie die Bienen Krankheiten bekämpfen. In den USA steht momentan die Erforschung der Honigbienengenetik stark im Fokus, und das ist gut so. Aber es wäre noch besser, wenn die Person, die die genetischen Analysen macht, auch ein tieferes Wissen darüber hat, wie ein Bienenvolk funktioniert und wie ihre Forschungsergebnisse zum Verständnis des Bienenvolkes beitragen.

Meine Hoffnung für die Zukunft ist daher, dass Bienenwissenschaftler weiterhin in der Lage sein werden, Bienenvölker aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. So kann man das Volk als Einheit betrachten; man kann aber auch schauen, was die einzelne Biene tut und wie sich ihre Physiologie – ihr Inneres – verändert, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Nur so werden wir Zusammenhänge vollständig erschließen können und in der Lage sein, ein weitfassendes und tiefes Verständnis über das Verhalten der Bienen und ihr Sozialleben im Volk zu erlangen.

DBJ: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Saskia Schneider.
Übersetzung aus dem Englischen: Saskia Schneider

INFO: Thomas D. Seeley schrieb seine Doktorarbeit in den 1970er-Jahren bei den großen Verhaltensbiologen und Ameisenexperten Bert Hölldobler und Edward O. Wilson an der US-amerikanischen Harvard-Universität. Damals beschäftigte er sich intensiv mit der Nistplatzsuche der Bienen und ging 15 Jahre lang der Frage nach, wie das Bienenvolk als einheitliches Ganzes funktioniert und kommuniziert. Dabei knüpfte er an die Forschungsarbeiten des Verhaltensforschers Martin Lindauer an. Heute ist Seeley Professor für Neurobiologie und Verhalten an der Cornell-Universität in Ithaca, New York. Für seine Forschungen erhielt er viele Auszeichnungen, unter anderem von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Spie/Sas

Seeley kompakt

Bienen halten ohne Varroabehandlung: Grafik zum Schwärmen von Thomas D. Seeley
Anfangs werben die Kundschafterinnen für unterschiedliche Nistplätze (roter und blauer Schwänzeltanz). Nach und nach setzt sich der bessere Vorschlag durch. Dann bricht der Schwarm zur rechten Höhle auf. Grafiken: Thomas D. Seeley/Saskia Schneider

Wir haben die spannendsten Fakten über die Nistplatz- suche von Honigbienen aus den Forschungsergebnissen von Prof. Thomas D. Seeley für Sie zusammengestellt:

  • Auf Wohnungssuche: Noch bevor der Schwarm abgeht, haben sich die Kundschafterinnen meist schon in der Umgebung umgesehen. Spätestens jedoch wenn die Schwarmtraube am Ast hängt, beginnen sie, intensiv nach einer neuen Wohnung zu suchen. Wie sich entscheidet, welche Biene zur Kundschafterin wird, ist noch nicht vollständig geklärt.
Bienen halten ohne Varroabehandlung: Bienen-Traumhaus
Laut Seeley hat das Bienen-Traumhaus ein Innenvolumen von etwa 40 Litern. Das Flugloch sollte 20 cm2 groß sein und in etwa fünf Metern Höhe über dem Boden liegen.
  • Gründliche Inspektion: Bis zu 25 Mal besucht eine Kundschafterin eine potenzielle neue Behausung. Bei jedem Mal erkundet sie die Wohnhöhle ein bisschen mehr. Einen Vergleich zu anderen möglichen Nistplätzen zieht sie nicht. Jede Kundschafterin besucht und wirbt immer nur für eine einzige Wohnhöhle.
  • Tanz deine Meinung: Hat sie eine neue Behausung entdeckt, kehrt die Kundschafterin zur Schwarmtraube zurück, um mit dem Bienentanz den Weg dorthin mitzuteilen. Je überzeugter sie von der Qualität der Nisthöhle ist, desto länger und intensiver tanzt sie dafür.
  • Bienendemokratie: Die hoch motivierten Tänzerinnen rekrutieren immer mehr Bienen, während die Tänze für andere Behausungen langsam ausklingen. Ab einem gewissen Punkt tanzt die große Mehrzahl der Kundschafterinnen nur noch für einen bestimmten Ort. Ist ein Schwellenwert überschritten, macht sich der Schwarm von seiner Zwischenstation zur neuen Behausung auf. Das Faszinierende dabei: Die Entscheidung fällt dabei immer auf die best mögliche Wohnhöhle.
  • Aufwärmphase: Bevor es losgeht, müssen die Bienen im Schwarm ihre Flugmuskeln aufwärmen. Um dies anzukündigen, laufen die Kundschafterinnen über den Schwarm und erzeugen mit ihren Flugmuskeln eine Art Pfeifen. Jetzt dauert es höchstens noch zehn Minuten, dann kommt das Signal zum Abflug. Dafür rennen die Bienen mit surrenden Flügeln über die Schwarmtraube, als wollten sie selbst gleich losfliegen, und animieren ihre Schwestern dazu, abzuheben und zur neuen Behausung aufzubrechen.
  • Nur wenige kennen den Weg: Die Kundschafterinnen machen gerade mal zwei bis drei Prozent der Bienenmasse im Schwarm aus. Nur sie wissen, wo es langgeht. Daher fliegen sie weit oben im Schwarm. So zeichnen sie sich gut vor dem Himmel ab, und die an- deren Bienen können sich im Flug an ihnen orientieren.
Maße von Schwärmen
So groß wie ein Lastwagen: Seeley nahm die Maße von Schwärmen im Flug auf. Demnach ist die Bienenwolke zehn Meter lang, sieben Meter breit und bewegt sich in etwa drei Metern Höhe vom Boden. In einem Kubikmeter Luft befinden sich etwa 60 Bienen.


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